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Seit über einer Woche hielt der Wahnsinn an, als eine Malvolenz das Dorf heimsuchte. Unbeeindruckt führten die Eindringlinge ihre Gräueltaten einfach in den Gebäuden fort und ließen den Sturm draußen wüten.

Eines Nachts kam der Anführer der Krieger in den Pferch, in dem Brynhildr festgehalten wurde. Ein zufriedenes Grinsen schmückte sein Gesicht, als er an den Häftlingen vorbeiging und sie begutachtete, als seien sie Schlachtvieh. Als er bei Brynhildr ankam, zog er ihren Kopf hoch und leckte sich die Lippen. Er grunzte und riss die Halskette mit seiner groben Hand von ihrer Kehle.

Sein Lachen war rau und voll wilder Freude. „Ausgezeichnet! Heute Nacht wollen wir einen ruhmreichen Wettstreit abhalten. Und nun haben wir einen Preis!“

Brynhildr spürte zum ersten Mal, wie ein Schluchzen ihre Kehle emporstieg, ihr Blick getrübt von Tränen. Vielleicht war es der Anblick, wie er die Halskette in seinem derben Griff hielt, oder das Stechen ihres Nackens, wo das Schmuckstück zuvor verweilte, als die Erkenntnis schließlich einsetzte, dass dies der wertvollste Besitz ihrer Mutter war. Es war diesem Ungeheuer egal, ob diese Halskette über mehrere Generationen in der Familie weitervererbt wurde. Und keiner von ihnen konnte irgendwas dagegen unternehmen. Dieser Alptraum würde so lange weiter gehen, bis sie alle geistig und körperlich gebrochen wären. Das Donnern des Sturms fuhr ihr durch die Knochen.

Beim Anblick ihrer nässenden Augen scharten sich die Krieger um ihren Anführer, so wie Haie die Witterung von frischem Blut aufnehmen, während sie sie weiter beobachteten und sich die Lippen leckten. Das Grinsen des Anführers wurde breiter. Mit gespielter Anteilnahme schüttelte er den Kopf: „Och, sei unbesorgt, du sollst deine Chance haben sie zurückzugewinnen.“

Man schleifte sie aus der tobenden Malvolenz in ein Gebäude. Das Licht der Fackeln flackerte, als sich die Krieger in einem Kreis versammelten und in der Mitte Platz schufen. Entblößt und von den Schlägen eines Speergriffs gezeichnet, wurde Brynhildr in den Ring geworfen. Kurz darauf wurde ihr Gegner, stolpernd und blutend, in den Ring gestoßen. „Kämpft um euer Leben! Das Schwein, das als letztes steht, gewinnt die Halskette“, knurrte der Anführer.

Brynhildr hob ihren Blick. Auf der anderen Seite der Öffnung in der stampfenden und schreienden Menge, starrte sie ihr Freund an. Der Junge, den sie beschützt hatte. Seine Wunden hatten sich wieder geöffnet und tropften rot von seinem Bein herab. Mit verzweifelt lächelnden Augen, starrte er sie an und sie wusste, dass er sich nicht wehren würde: Sie könnte ihn mit Leichtigkeit töten.

Ihr fester Blick wanderte über den Kreis von spottenden Kriegern. Ihre Gesichter waren nichts weiter als die Masken verkommener Männern und Frauen, die ihre Seelen auf einem Scheiterhaufen verbrannt hatten.

Als der Sturm die Wände des Gebäudes erschütterte, schrie Brynhildr und verfiel in Raserei. Anstelle ihres Gegners, stürzte sie sich auf die Krieger, die den Ring bildeten. Mit heulendem Zorn packte sie sich einen Stuhl als Waffe. Als dieser zerbrach, schlug sie mit den Bruchstücken um sich.

Für einen kurzen Moment zögerten die Krieger. Bisher hatte es niemand in diesem schwächlichen Dorf gewagt, sich ihnen zu widersetzen, denn sie waren gepanzerte, bewaffnete und kaltblütige Mörder. Auch hatte Brynhildr schon viel über sich ergehen lassen und obwohl sie ihre klammernden Griffe mit rasendem Kampfgeist abwehrte, war sie doch nur ein Mensch. Ihre Klingen sanken in ihr Fleisch. Ihre gepanzerten Fäuste schlugen sie zu Boden. Erbittert wehrte sie sich bis zu ihrem letzten Atemzug. Als sie starb, verfluchte Brynhildr sie in Odins Namen.

Die verbliebenen Dorfbewohner brachen in hilfloses Geschluchze aus. Zunächst erheitert, fing es die Peiniger schon bald an zu stören. Die Überlebenden wurden zurück zu einer bewachten Hütte gesandt, wo ihr Wimmern weniger hörbar war. Es gab Vorschläge, die Hütte abzubrennen und ihr Fest in einer Feuersbrunst abzuschließen.

Die Malvolenz wütete weiter um die Insel herum. Die wenigen, die aus ihrem eigenen Elend hinaufblickten, sahen, dass der Sturm etwas Seltsames tat, etwas noch nie zuvor Beobachtetes. Die Wolken zogen sich zu einem dunklen Strudel direkt über dem Gefängnis zusammen. Als sie hörten, wie der Sturm direkt vor ihrer Tür wütete, begannen die Überlebenden noch lauter zu schluchzen. Ihr Wehklagen galt Brynhildr, der Einzigen, die es gewagt hatte, sich zu wehren.

Ob nun die Götter ihre klagenden Rufe vernahmen oder nicht, etwas in dem Sturm lauschte. Ein Hauch seiner aufgewühlten Energie gelangte in den Festsaal und streifte das von Blut und Tränen gezeichnete Gesicht von Brynhildrs Leiche.

Zu jeder anderen Zeit hätte man sie schnell wieder vergessen. Ein weiterer Verlust auf dem ungleich verteilten Konto der menschlichen Grausamkeit. Die Erinnerung an ihren Namen wäre mit der Asche von weiteren unschuldigen Toten überdeckt worden. Doch dies ist das Zeitalter der Entstehung.

Brynhildrs Körper begann in wellenförmigem Licht zu glühen und ein Ring von blendend weißem Feuer umgab sie. So wie die Flammen wuchsen und ihre starre Hülle berührten, wurde Brynhildr wiedergeboren. Sie erhob sich und erschien in Gestalt einer weiblichen Kriegerin, gekleidet in strahlender Rüstung. Zwei glänzende, schwarzrote Flügel wuchsen aus ihrem Rücken und sie erhob einen feurigen Speer. Blutrote Tränen waren in Ihre Haut geätzt.

Mit Augen, die vor wiedererwachter Wut brannten, schritt Brynhildr in die Schlafgemächer der Folterer. Einige Krieger sprangen auf, gingen jedoch mit einem Speerzeig von ihr in Flammen auf. Andere lähmte sie schlicht und überließ sie windend ihrem qualvollen Tod.

Blutüberströmt befreite Brynhildr die restlichen Gefangenen und fragte, wer ihr zur Seite stehen würde, um vom Sturm geläutert zu werden. Eir, Hildr, Gondul und weitere schlossen sich ihr an.

Gänzlich der Gewalt des Sturmes ausgesetzt, begannen sie die restlichen Eindringlinge, welche über die gesamte Insel verteilt waren, zu jagen. Brynhildrs Anhänger wandelten sich, während sie ihre Feinde schreiend ins Meer trieben. Ihre offenen Wunden verschwanden und ihre Augen glühten mit verschleiertem Hass, der brannte wie die Sonne durch Sturmwolken.

Als die Nacht vorüber war, lebte nur noch einer der unmenschlichen Angreifer: Der Anführer. Derjenige, der Brynhildr die Halskette ihrer eigenen Mutter angeboten hatte. Er wurde dabei gefasst, wie er nach dem Sturm im grauen Morgenlicht zurück durchs Dorf schlich, das Schmuckstück umklammert in der einen Hand, seine Axt in der anderen.

Ein blauer Feuerstrahl von Brynhildrs Speer stieß die Axt aus seiner Hand und er strauchelte in den zerstörten Festsaal, sein grausames Gesicht eine Maske der Angst.

Brynhildr folgte und riss ihm die Halskette aus den Händen. Sie hätte ihn damit erwürgt, hätte sich da nicht eine Hand auf ihren Arm gelegt und sie davon abgehalten. Einer der kastrierten jungen Männer war vorgetreten. Sie erinnerte sich so, als wäre es nicht ihre Erinnerung gewesen: Es war wieder der Junge, den sie nun schon zum zweiten Mal gerettet hatte. Wortlos befreite er die Halskette aus ihrem festen Griff, schüttelte den Kopf und legte sie sanft um ihren Hals. Er lächelte hilfsbereit, genauso wie es sein jüngerer Bruder getan hatte, als der Anführer ihn an der Küste ermordet hatte.

Über die Schulter des Jungen starrte Brynhildr tief in die leeren Augen des Barbaren. Obwohl ihre Seele nach einem letzten Akt der Rache schrie, fauchte sie nur: „Nie wieder“. Die Überwindung, die diese Worte kosteten, brannte in ihren Augen wie weißglühende Sterne des Zorns. Der Mann trat zurück.

Sie richtete ihren Speer auf das strohgedeckte Dach. Ein weiterer Flammenstrahl schoss aus der Spitze und versengte das Dach zu Asche. Schwarzrote Flügel schimmerten und strahlten im gleißenden Sonnenlicht, als Brynhildr und ihre Anhänger aus dem Saal flogen, um nach weiteren Dorfbewohnern zu suchen, die überlebt hatten.

Allein der Anführer der gefallenen Marodeure blieb in den Ruinen des Festsaals zurück, setzte sich wieder und staunte über sein Glück. Es gab immer weitere Krieger anzuheuern, andere Dörfer mit denen man sich vergnügen könnte. Sein abscheulicher, primitiver Verstand begann über abstoßende Gräuel nachzudenken, die er noch ausprobieren musste.

Es hatte ihn einige Jahre gekostet, aber schlussendlich erreichte er ein unberührtes Dorf mit einer neuen Gruppe von Kriegern an seiner Seite. Ein wölfisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als die Dorfbewohner begannen aufgeschreckt davonzulaufen, um zu versuchen, sich vor den lachenden Mördern zu verstecken. „Nie wieder, hah! Das Miststück wird noch lernen wer der wahre Herr ist.“, murmelte er vor sich hin. Er zurrte seinen Gurt fest und leckte sich beim ziehen seines Schwertes die Lippen.

Da vernahm er Flügelschläge über sich. Er blinzelte ins gleißendes Sonnenlicht, um eine vertraute weibliche Gestalt auszumachen, die vor ihm stand. Bevor der Barbar reagieren konnte, spürte er einen stechenden Schmerz, als ihr Speer seine Leiste durchstach.

Die Walkürenälteste beendete ihre Geschichte und sah sich in der Gruppe um, die sich im Innenhof versammelt hatte. Ob jung, ob alt, tiefrote Tränen strömten über die Wangen der Walküren. Hinter diesen Tränen verbargen sich stählerne Augen. In ihren Seelen war Bestimmung und Entschlossenheit entbrannt. Sie räusperte sich.

„So endet die Entstehungsgeschichte der Walküren. Es heißt, dass von allen Rassen des Reiches, unsere Geschichte die größte Tragödie birgt. Wir können nur hoffen, dass diese schreckliche Ehrung unser bleibt, denn keine Kreatur sollte leiden, wie wir es taten. Wir sind aus Leid und Schrecken geboren. Wir sind geboren, um das Reich zu verteidigen. Wir sind geboren, um jene zu verteidigen, die zu schwach sind, um sich selbst zu schützen. Die Walküren, die mir vorangegangen sind, schrieben die Verkörperung unseres Geistes in den Kodex der Walküren, doch die Erschaffung dieses bedeutenden Dokuments ist eine Geschichte für ein anderes Mal.“

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