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Die Frostriesen – Teil 2

Er konnte das Weinen kaum vernehmen. In einer Ecke des Raumes gab es eine Reihe von seltsamen kleinen Kästen, die aus gewaltigen Steinen und Eisbrocken gebaut waren; das Weinen kam aus ihrem Inneren. Die drei Kinder aus dem Dorf befanden sich in den Kisten, sie hatten blaue Lippen und zitterten. Sie starrten ihn wortlos an.

Ein Junge zeigte auf die andere Seite des Raumes. Dort fiel ein Lichtstrahl, der durch einen Riss im Felsen an der Decke schien, auf einen blutbefleckten Tisch. Das wiederum erleuchtete die langen Knochen, die dort lagen und schwarz vor angenagtem Fleisch waren. Außerdem lehnte etwas an der Wand, eine menschliche Gestalt … Gest schnappte nach Luft, als er ihn erkannte.

Es war sein Bruder Thrud, der an die gefrorene Wand gekettet war und dessen Fleisch an den Rändern schwarz wurde. Der ältere Bruder erhob leicht seinen Kopf, dann schreckte er zurück, als Gest sich ihm näherte. „Nicht … mein Bruder …“, krächzte er.

„Was ist geschehen?“ Gest flüsterte über das Weinen der Kinder. Etwas fehlte, eine Leere, die er nicht ganz zuordnen konnte. Dann sah er es. Thruds Arm und ein Fuß fehlten. Sein starker rechter Arm, sein guter rechter Arm, die Waffe des mächtigen Kriegers, war an der Wand festgefroren und war nur noch ein Stumpf aus Fleisch, der in Fetzen gewickelt und von Eis umhüllt war.

Thrud blinzelte mit seinen entzündeten Augen. „Er hat mich erwischt … überrascht. Keine Chance.“

Eine Stimme erklang von der anderen Seite der Höhle, die Stimme eines Jungen, gedämpft durch Eis und Gestein. „Er isst uns.“

Gest drehte sich entsetzt um, fast gegen seinen Willen. Dort war der Junge, der die Riesen mochte, sein Gesicht war bleich und er hatte blaue Lippen. „Was?.“

„Er isst uns. Der … Mann. Er nennt sich selbst die Bestie. Er hält uns hier gefangen und isst uns. Er hat den Arm deines Bruder gegessen.“

Gest erschauderte wieder und starrte von den befleckten Knochen auf dem Tisch zu der Reihe der hilflosen, hoffnungslosen Kinder. Es würde eine gewaltige Stärke verlangen, um die Steine und das Eis zu bewegen, die sie dort festhielten. „Aber warum? Warum macht er all das?”

Der Junge rieb sein bläuliches Gesicht. „Er ist verrückt. Er hat seinen Verstand an die Macht eines Veilsturms verloren.” Der Junge erzitterte. „Er stellt uns Rätsel. Die Bestie glaubt, das wäre lustig. Wenn man die Antwort nicht kennt, dann ist man der nächste.“ Er richtete seine flehenden Augen auf Gest. „Bitte hole mich heraus.“

„Nein … lauf … Bruder …“ Thrud strengte sich an und krächzte eine Warnung, doch es war zu spät.

Ein enormer Mann stürzte aus einem versteckten Tunnel in die Höhle hinein und grölte vor Lachen. Gest drehte sich und sah eine Anhäufung von weiß-blonden Haaren und Muskeln, die auf ihn zustürzte. Ein perlweißes Lächeln blitzte auf, als der Mann Gests Schwertspitze mühelos zur Seit schlug und sein bärenartiges Gesicht nach vorne schob. „Grüße!“

Die Kraft des Ansturms des großen Mannes warf Gest von den Füßen und er stürzte schmerzhaft auf Kieselsteine und Eisbrocken. Für einen Augenblick blickte Gest überrascht an seinem Körper hinab. Seine dicke Winterkleidung war in Fetzen gerissen, als wären sie von Klauen zerfetzt worden. Der gewaltige Mann stand über ihm und lachte erneut, was Schnee von seinem Kopf voll dicker Haare rieseln ließ. „Ich bin die Bestie, Junge. Bald werde ich dich verschlingen. Ich werde mich an deinem Fleisch laben. Du wirst mich unterhalten, wie es diese Kinder gemacht haben.“ Er lutschte an seinen Zähne, als würde er das bevorstehende Festmahl genießen.

An der Wand zitterte Thrud schwach. “Nein! Gest … lauf, lass ihn … nicht sprechen!“

„Aber …“ Für einen Augenblick warf der jüngere Bruder einen Blick auf sein Schwert, wo es auf einem Stück glattem Stein lag. Die Bestie hatte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegt und war unermesslich stark. Gest versuchte nicht, die Klinge aufzuheben. „Du sehnst dich nach Unterhaltung?”, stieß er hervor, „Dann hast du Glück. Ich bin ein Geschichtenerzähler und Sänger.“ Er leckte über seine trockenen Lippen. Das tat die Beste ebenfalls und türmte sich mit einem boshaften Grinsen über ihm auf. „Und … ich könnte dich unterhalten, wenn du sie alle gehen lässt.“

„Nein!“, schrie Thrud erneut und schüttelte seine blutigen Stümpfe.

„Sie gehen lassen? Sie gehen lassen? Bist du verrückt, kleiner Mann?

Gest hustete, er fühlte, wie die Kälte versuchte, ihn zu durchdringen. Er richtete sich auf. „Vielleicht. Aber vielleicht könnte meine Verrücktheit eine Weile deiner Unterhaltung dienen.“

Der massige Mann drehte sich schwerfällig im Kreis und schüttelte sich vor Lachen. „Ja, ja, ich verstehe. Ich verstehe es jetzt. Wir werden das alte Spiel spielen, das Spiel bei dem Leben und Tod der Einsatz sind.“

Gest schüttelte sein Haupt, als ob er versuchen würde, einen klaren Kopf zu bekommen. Es war schwierig, dem wahnsinnigen Gerede des enormen bärenartigen Mannes zu folgen. „Das alte Spiel?”

„Ja!“, grunzte die Bestie tief aus ihrer Kehle und starrte ihn mit einem blauen Auge an. „Ich verstehe, was wir machen werden. Wir werden jetzt das großartige Spiel der Rätsel spielen.“

Gest konnte nur überrascht blinzeln. Schließlich erwies sich dies doch, ehr wie eine der alten Geschichten zu sein.

„Kennst du … Rätsel?“ Ohne ihn anzuschauen drehte sich die Bestie von ihm weg, setzte sich an den blutbefleckten Tisch in der Mitte des eisigen Raumes und fegte einige der befleckten Knochen davon. Sie atmete, blies Dunst in die Luft und fuhr fort: „Ich kenne alle, die ich verzehre, ich kenne sie sogar besser, als sie sich selbst kennen. Deshalb kenne ich viele Geheimnisse. Nun werde ich mit dir um das Leben deines Bruders spielen und vielleicht auch um ein leckeres Kind. Komm und setze dich.“

Staunend schritt Gest über sein Schwert hinweg und ging zu dem blutbefleckten Tisch. Er starrte den gewaltigen Mann an, der am anderen Ende des eisigen Holztisches saß. Um seine Zähne vom Klappern abzuhalten, wickelte er seinen Körper in seinen zerfetzen Mantel ein. „Also gut.“

Die Bestie nahm einen tiefen Atemzug, nickte ein paar Mal mit ihrem haarigen Kopf und begann, mehr singend als sprechend, ihr Rätsel zu stellen: „Höre mich nun. Ich will heute haben, was ich gestern hatte. Es hemmt Männer, es behindert ihre Worte und trotzdem beschleunigt es ihre Sprache.”

Gest blinzelte für einen Augenblick, er versuchte an mehr zu denken, als nur an die Kälte, die seinem Kopf Schmerzen bereitete und ihre eisigen Finger durch die Risse seiner Kleidung streckte. Sein Magen drehte sich um, aber er musste das Spiel jetzt spielen oder er würde alles verlieren. „Ich weiß, was du gegessen hast oder besser gesagt wen … aber das ist es nicht …“

Die Zunge der Bestie hing zwischen ihren weißen Zähnen heraus, während sie sich über den blutbefleckten Tisch lehnte. Ihre entsetzlichen Nägel schabten vor Ungeduld am Holz. „Ich glaube, dass ausgerechnet du, jemand der wie du riecht, dazu im Stande sein sollte, dieses Rätsel zu deuten. Ich bin wirklich enttäuscht.“

Gest räusperte sich und versuchte sein Zittern zu besänftigen. „Ich bin sicher, dass du viel Schlimmeres gegessen hast … ah, ich verstehe. Met! Es hemmt den Verstand und viele finden sich ihrer Fähigkeit beraubt, schnell zu sprechen. Aber andere finden ihre Sprache nur in ihrem Becher. Met ist die Antwort, nach der du suchst, und du hast Recht, ich rieche danach, da mein Bruder und ich die Methalle im Dort führen.“

Die Bestie seufzte und lehnte sich zurück. Das Licht veränderte sich, als weitere Wolken an den Felsnadeln über ihren Köpfen vorbeizogen und das Licht verdeckten, das durch die Risse im Felsen drang. Die weißen Zähne des Mannes glitzerten in Flecken von kristallinem Licht, während er Schnee von seiner bleichen Lederkleidung wischte. „Also gut. Sprich, kleiner Mann, denn ich beginne hungrig zu werden, da der Winter sich nähert …“

Thrud hustete und schüttelte den Stumpf, der einmal sein mächtiger rechter Arm gewesen war. „Warum … spielst du mit uns?”

„Sei stark, Bruder. Ich werde euch hier noch raus holen.“ Gest versuchte sicherer zu klingen als er sich fühlte, zumindest zum Wohle der Kinder. Er überlegte, aber er hatte Mühe, sich etwas einfallen zu lassen. Er hatte in seinem Leben so viele Rätsel gehört, so viel, die viel zu einfach zu erraten wären. Er musste mit dieser Kreatur machen, was sie versuchte, mit ihm zu machen; den Gegner aus dem Gleichgewicht bringen, ihn dazu bringen, die Konzentration auf das Spiel zu verlieren, indem er Rätsel stellt, die einen wunden Punkt treffen.

„Nun … beantworte mir dies, Verrückter. Welche Bestie beschützt tapfere Männer? Ihr Rücken wird blutig, wenn sie Schläge abwehrt, gegen Speere kämpft und Leben gibt. Gegen die linke Hand eines Lords legt sie ihren Körper.“ Es war schwierig zu atmen, so kalt war die Luft.

Die Kreatur warf ihren Kopf zurück und lachte, das donnernde Geräusch hallte durch die Höhle. „Eine Bestie die Männer beschützt. Und sie ist blutig … dein Bruder, der kein Lord ist, hat mir eine von ihnen gebracht.“ Ohne die Kälte zu beachten, versenkte sie ihren dicken Arm im Schnee an der Seite der Höhle. Das verriet Gest, dass sie poröser war, als er angenommen hatte. Grunzend tastete die Bestie auf der Suche nach etwas in dem Loch herum.

Nach einem Augenblick murmelte Thrud: „Ich verstehe nicht … jetzt ist deine Gelegenheit, Bruder. Jetzt, während sie feststeckt. Bitte … bitte lauf von diesem Ort und dieser Kreatur davon.“

Doch die Bestie stieß nur weiteres schroffes Gelächter aus, während sie etwas aus dem Loch herauszog und dabei Schnee und Erde herausschleuderte. Es war Thruds Schild, das aber nun rissig und beschädigt war. „Die Antwort ist … ein Schild! Sein blutiger Rücken hat viele Männer vor Speerstößen bewahrt, doch nicht vor meinem Tisch. Nun sag mir dies, kleiner Mann. Wer ist der Große, der über die Erde wandelt und alle Gewässer und Wälder verschlingt? Er fürchtet keine Menschen, nur den Wind; und er verschlingt die Sonne.“ Mit einem Lachen, tief aus ihrer Kehle, lehnte die Bestie sich nach vorne und blies in die Richtung von Gests Gesicht.

Der junge Poet kaute auf seinen trockenen Lippen und dachte nach. Angst benebelte seinen Verstand, die Wahl der Rätsel der Bestie steigerte sie noch … und der verfaulte Geruch ihres dunstigen Atems machte es nicht besser. Dunst … und fürchtet den Wind? Gest räusperte sich, lehnte sich wieder nach vorne und täuschte Eifer vor. „Nebel! Menschen können nichts gegen ihn machen und er verdeckt das Sonnenlicht.“

Ein tiefes Knurren der Frustration ertönte von der Bestie, während sie sich wieder einmal nach hinten lehnte. „Also gut. Ich sehe schon, du lässt dich nicht von den einfachsten Fragen besiegen.“

Gest grinste so ruhig wie er konnte, ohne dass seine Zähne klapperten. Es war an der Zeit, eine etwas andere Taktik zu versuchen. „Du denkt, du bist so schlau, Verrückter … beantworte mir dies, wenn du kannst. Wer schläft in der Aschengrube und wird nur aus dem Stein geschlagen? Weder Mutter noch Vater hat dieser gierige Teufel und dort will er sein Leben verbringen.“

Die Bestie schaute finster drein uns setzte sich auf. „Teufel, wie? Schläft in der Aschengrube. Soll das eine Art Beleidigung sein?“ Ihre wilden Augen wanderten im Raum umher und schauten an Gest wie an einem Stück Fleisch auf und ab. Was er in den Augen dieses Mannes vielleicht auch war. „Ich habe den Bedarf dafür schon vor langer Zeit aufgegeben … dein Rätsel ist Feuer!“

Gests Herz wurde schwer und er blickte auf die Gefängnisse, in denen die Kinder lagen und die ohne Zweifel von ihrem Kampf gegen die erbitterte Kälte erschöpft waren. Er zitterte mit einem weiteren tiefen Atemzug.

Die Bestie stürzte nach vorne, starrte den jüngeren Bruder an und leckte ihre Lippen. „Also gut. Ein köstliches Rätsel für dich. Vier laufen und vier hängen; zwei weisen den Weg, zwei wehren Hunde ab; einer schleift hinterher, fast immer schmutzig.“

Gest starrte in das Weiß und Rot des Mundes des Mannes und die zuckenden Muskeln unter bleichem Leder. Er hatte nie zuvor so ein Rätsel gehört. Es war so kalt, er konnte nicht denken. Wer war in Dreizehnergruppen unterwegs? Und hatte solch seltsame Aufgaben … Das war solch eine seltsame Frage von der Bestie und merkwürdig beunruhigend. „Vielleicht …“

Die Bestie lehnte sich näher zu ihm. „Du hast Schwierigkeiten, nicht wahr? Findest du es zu schwierig? Hmm, ich hoffe du bist nicht zäh … ich mag zähes Fleisch wirklich nicht. Je jünger das Fleisch umso besser.”

Es schien, als könnte er wenig tun, um die Bestie davon abzuhalten, ihn und jeden anderen, der in ihre Reichweite kam, zu essen. Hatte die Bestie an etwas anderes gedacht außer an essen? Weshalb war der Verrückte hier, oben in den gefrorenen Bergen? Er könnte anderenorts sicherlich bessere Weidegründe finden … Um zu essen …

Der große Mann stand aus seinem Stuhl auf, als Gest schrie: „Kuh! Kuh!“ Und die Bestie sank enttäuscht in ihren Stuhl zurück. Gest schnappte nach Luft. „Vier Füße, vier Zitzen, zwei Augen, zwei Hörner und ein Schwanz. Das ist ein gutes Essen, jene von uns, die noch nicht dem Frostwahn verfallen sind und sich …”

Die Bestie knurrte. Ihre blauen Augen wurden schmal und starrten Gest mit nacktem Hunger an. „Rätsel.“

„Ja, ja, keine Sorge.” Gest suchte in seiner Erinnerung nach etwas, mit dem die Bestie keine Erfahrung hatte, etwas, das ihr fremd war. Zu seiner Überraschung krachte draußen ein Donnerschlag in die Erde. So hoch in den Gipfeln gab es so gut wie nie Schneegewitter. Ein weiterer Einschlag klang wie das Verderben der Berge selbst. Er konnte jeden Schlag direkt durch die eisigen Wände in seinen Knochen spüren.

Gest räusperte sich. „Rau klirrt er und wandelt auf harten Pfaden, die er bereits zuvor beschritten hat. Er hat zwei Münder, mit denen er mächtig küsst und allein auf Gold wandelt er.“ Er konnte nicht länger herausfordernd in die Augen der Bestie blicken, stattdessen schmiegte er sich in seinen Mantel und beobachtete, wie der Dampf seines Atems sich auflöste.

Der haarige Mann vor ihm knurrte und stampfte dann auf einer Schneefläche auf dem Boden der Höhle umher. „Du willst mich täuschen und zum Narren halten.“

Obwohl es schien, als wäre nur wenig Zeit vergangen, nahm der Sturm draußen schnell an Stärke zu. Gest konnte kaum noch hören, was die Kreatur vor ihm sagte. Wind blies durch die Höhle. Sein Bruder bewegte sich, ohne Zweifel, um seinen Stumpf wieder gegen die Ketten zu stemmen. Die Kinder im Steingefängnis hielten ihr Schluchzen zurück. Er sollte die Bestie besser ablenken, solange er es konnte. „Ah, nun, brauchst du einen Hinweis? Ist es das, was du sagst?“ Er musste schreien, um den sich zusammenbrauenden Sturm zu übertönen.

Das Knurren, das ihm antwortet war voller Zorn und Beleidigung. „Deine List führt zu nichts. Es ist ein Hammer eines Metallbearbeiters, ein Goldschmiedehammer. Und nun ist das großartige, alte Spiel vorüber.“ Er schlug seine Zähne zusammen und lehnte sich nach vorne. „Ich werde dich nach einem Geheimnis fragen, kleiner Mann.“

Als ob er die Worte der Bestie unterstreichen wollte, traf der Sturm auf den Felsen, der das Dach ihres Unterschlupfs bildete und schüttelte den Boden mit seiner Wut. Gest konnte die Schwere in der Luft spüren, die bedeutet, dass sich der schrecklichste aller Stürme formte, eine Malvolenz.

Die Kinder drückten sich beängstigt nach vorne gegen das Gestein und Eis ihres Gefängnisses, Sie wussten, wie dies enden würde. Ihre kurzen Leben würden in Schrecken enden. Ein Junge schaute hin und her zwischen der gewaltigen Bestie und dem kleinen Mann, der all die Geschichten kannte. Bald würde erneut das Geschrei und das schreckliche Krachen der Knochen beginnen.

Als der Atem der Jungen schwächer wurde, der Luftdruck ihn erdrückte und die tiefe Kälte ihm Schmerzen bereitet, da wünschte er sich die Stärke, die Größe und die Macht, um sich zu befreien. Es würde einen Riesen aus den alten Geschichten bedürfen, um zu verhindern, was unmittelbar bevorstand.

Die Augen der Bestie waren wild und sie stand aufgetürmt über Gest. Jede Silbe, die ihre Lippen verließ, schien den Druck zu erhöhen und einen weiteren Donnerschlag zu erzeugen.

„Was war es, was Odin …“ Es gab einen Riss, als Thrud sich gegen die Eiswand warf und in ohnmächtiger Wut schrie, um den Sturm zu übertönen. Die Bestie zog ihre Augen zusammen, aber setze ihren Satz fort: „… in Baldrs Ohr flüsterte, als er zur Bestattung zum Scheiterhaufen getragen wurde?“

Das Heulen des Windes schwoll zu einem unerträglichen Ton an und Gest musste seine Hände über seine Ohren halten. Im Eis der Wände bildeten sich Risse, als der Felsen sich bewegte und Schnee blies als eine weiße Welle durch die Höhle. Nach einem Augenblick schob die Bestie ihr Gesicht mit einem breiten Grinsen vor das Gesicht von Gest und brüllte durch den Sturm: „Brauchst du einen Hinweis, kleiner Mann? Oder willst du die Antwort?“

Thrud kämpfte noch immer mit seinen Wänden und schrie seinen Bruder an. Gest schaut auf der Suche nach einer Antwort in die Augen der Bestie hinauf. Die große Masse des Verrückten türmte sich über ihm auf, seine Haare waren weiß durch den Schnee, der im Inneren der Höhle umherwirbelte. Alles war gefroren, als die Worte der Bestie vor ihm in der Luft schwebten.

Gest nahm einen tiefen Atemzug, die scharfe, kalte Luft stach in seinen Lungen wie eine Klinge. Er blickte zu Thrud hinüber. Die gewaltige Hand des Verrückten ergriff die Schulter des jüngeren Bruders und widerlicher Geruch wurde über sein Gesicht geweht.

Die Kinder schrien, ihre Stimmen gingen im Heulen des Windes und dem Donner unter. Das Gestein über ihren Köpfen bekam Risse, aber niemand bemerkte es, während Gest versuchte, sich dem unglaublichen Griff zu erwehren. Die weißen Zähne fuhren hinab, leuchtend für die weit geöffneten Augen des Jungen, der es mit ansah. Blut spritzte und strömte in den Schnee, das Blut seines Freundes.

Der große Felsen, der das Dach der Höhle bildete, spaltete sich mit einem Geräusch wie das Ende der Welt. Schnee flutete die Höhle, zusammen mit einer Kälte, die so intensiv war, dass der Junge, dessen Haut nahezu taub war, ein Kribbeln spürte.

Sein Blut war dabei zu gefrieren. Die einzigen Geräusche waren das Brüllen des Sturms und das Gelächter seines Peinigers. Stücke von Eis und Gestein peitschten in die Zelle des Jungen und erschöpften seine letzte Wärme und Stärke. Seine Augen schlossen sich fest und er schmeckte Blut im Wind. Das schrille Gelächter des Mannes und des Sturms verhöhnte den Jungen, als er sich gegen die Wand des Gefängnisses warf. Er konnte die Schreie der anderen mehr fühlen als hören. Die Malvolenz riss an ihm.

In dem wirbelnden Schnee erschien das Gesicht der Bestie, ihr dicker Bart war rot und tropfte vor Gests Blut. Ein rotes Grinsen zog sich über ihr Gesicht, als sie beobachtete, wie die Kinder kämpften. „Kommt und rettet den Sänger, wenn ihr könnt!“

Doch das Grinsen verschwand, als die Kinder begannen, sich zu verändern. Der Junge spürte, wie sein Herz langsamer wurde und kalt in seiner Brust schlug. Mit seinem letzten Atemzug wünschte sich der Junge, einer der vorzeitlichen Riesen zu sein, jene, die die Kälte liebten, die so mächtig und so weise waren.

Und zu seiner Überraschung zerbrachen die Wände des Gefängnisses, Eis und Gestein splitterten in den Wind. Intensiver Schmerz schoss durch seinen gefrorenen Körper, ein Gefühl des Streckens, Ziehens und Ausdehnens. Seine Knochen knackten und krachten als ob die Bestie auf ihm herumkauen würde.

Alles schien kleiner zu sein. Er blickte sogar auf die Bestie herab, deren offener Mund einen rosafarbenen Dunst in die Luft abgab, während sie zu dem Jungen und den anderen Kindern hinauf starrte. Als der Junge sich nach vorne bewegte spürte er eine neue Stärke, obwohl seine Haut eisig blau war.

Die Bestie drehte sich, um davon zu laufen, doch die riesigen Kinder erwischten sie, sie zappelte in ihren mächtigen Händen. Rasend vor Wut rissen sie sie zusammen in Stücke. Sie zerplatzte wie eine überreife Frucht, ihr Blut spritze auf die gefrorenen Knochen derer, die sie verspeist hatte.

Dann vergrub sie alle der donnernde Schneesturm in einer Welle aus endlosem Weiß.

Als die Wut der Malvolenz schließlich verbraucht war, kehrte Sonnenlicht zu dem Berg zurück und wurde von dem hellen Schnee auf dem Gipfel reflektiert. Die Verwehungen waren tief und begruben die schwarzen Felsnadeln zusammen mit den Leichen der zwei Brüder. Sogar mit ihren neuen verlängerten Körpern mussten sich die überlebenden Kinder selbst ausgraben. Sie blinzelten einander in der Helligkeit an und starrten auf ihre blauen, mit Blut überzogenen Hände. Sie fühlten die Kälte nicht mehr.

Der Junge fühlte sich leer. Er sagte wenig, als die Kinder, die Riesen geworden waren, ihren Weg den Berg hinunter wählten. Die wenigen Worte, die sie austauschen, klangen heiser und spröde wie Eis, das aufeinander rieb.

Als sie einen Blick von Ut, ihrem Dorf, erhaschten, war etwas anders. Viele der Gebäude sahen beschädigt oder zerstört aus, oder sogar vom starken Schneefall zerquetscht. Sie eilten von den Höhen herab, aber fanden den Ort fast verlassen vor. Jene wenigen, die die Malvolenz überlebt hatten, waren verändert, genau wie der Junge sich die Riesen in Gests Geschichten vorgestellt hatte. Sie waren groß und kraftvoll gebaut, mit Haaren in den Farben des Eises und ihre Haut war dunkel und bläulich wie im Winter erfrorene Leichen.

Der Junge kam zur Methalle, wo er so viele Geschichten gehört hatte. Sie war eingestürzt, zerbrochene Balken langen übereinander und waren von Schnee bedeckt. Als die anderen sich langsam in der Nähe sammelten, griff der Junge hinunter und hievte eines der gefallenen Stücke hoch. Die anderen Kinder schlossen sich ihm an und sie begannen, die Methalle von Thrud und Gest wieder zu errichten.

Jener Winter hielt für die Dauer von drei Wintern in Folge an. Es war der Fimbulwinter und er bedeckte die Berge mit einem Frost, wie er nie zuvor gesehen war. Während all dem lebte das Dorf der Riesen weiter und sie bauten in den Höhen neue Häuser aus Stein und Eis. Sie bauten eine mächtige Mauer, um sich zu verteidigen, und mit der Zeit wurde das Dorf als Utgard bekannt.

Der Junge begann in der Methalle zu leben, schrieb seine Geschichte nieder und sang sie für künftige Generationen. Er vergaß nie die Brüder, die ihn gerettet und ihm so viel beigebracht hatten. Schließlich nahm er den Namen Mimir an und wurde bekannt für seine Weisheit und Macht.

Und so endet die Saga der Jötnar und des Fimbulwinters.

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